Der große Hunger

Zwischen 1845 und 1849 raffte eine Hungersnot in Irland einen Großteil der Bevölkerung dahin. Über 1 Million Einwohner verhungerten und in der Folge begann eine Große Migrationswelle insbesondere auch in die neuen Staaten jenseits des Atlantiks, die USA und Kanada, und nach Australien. Zum Hunger gesellten sich dann auch noch Seuchen wie Pest und Thyphus. Wer konnte, floh aus dem Land. Ein einscheidender Schnitt in der irischen Geschichte, der auch heute noch in Irland unter dem Begriff "The Great Famine" jedem bekannt ist. Aber wie konnte es soweit kommen?

Die Hintergründe hierfür reichten bis weit ins frühe 16. Jahrhundert zurück. Seit 1541 Heinrich VIII. den Irischen Königstitel angenommen hatte, stand Irland unter englischer Herrschaft, das meiste Land gehörte englischen Großgrundbesitzern, den sogenannten Plantations. Die irischen Bauern bauten Kartoffeln und Getreide an, hielten in der Regel auch etwas Vieh. Getreide und Vieh mussten allerdings als Pacht an die englischen Feudalherren abgegeben werden – der armen irischen Bevölkerung blieb nur die Kartoffel als Grundnahrungsmittel. Seit dem 17. Jahrhundert hatte die Kartoffel Getreide und Fleisch als Grundnahrungsmittel weitgehend abgelöst. In dieser Zeit wuchs auch der Einfluß des englischen Königreiches als weltweite Kolonialmacht und Empire – die Ausbeutung Irlands nahm weiterhin zu. Die irische Gesellschaft verarmte dramatisch, Hunger und Elend prägte das Bild der Bevölkerung. Von den Engländern verhängte neue Strafgesetzte, die sogenannten Penal Laws verschärften die Bedingungen für die Iren weiter: die Iren durften keine Schulen besuchen, keine Pferde besitzen, keine Waffen tragen und, solange sie sich weigerten zum Protestantismus überzutreten, auch kein Land mehr kaufen.

Im 19. Jahrhundert war die Kartoffel schließlich das am weitest verbreitete Nahrungsmittel der breiten Masse in Irland. Diese Abhängigkeit von einem einzigen Nahrungsmittel sollte zur Katastrophe führen.

Bereits im 18. Jahrhundert und auch im frühen 19. Jahrhundert hatten Mißernten und Ernteausfälle zu meist lokalen Hungersnöten und Problemen geführt. Im Jahr 1842 trat aber erstmals eine Kartoffelkrankheit von bisher nicht gekanntem Ausmaß auf. Der Erreger kam ursprünglich aus den USA, breitete sich dann aber rasend schnell in ganz Europa aus. Heute helfen Fungizide und andere Spritzmittel gegen derartige Erreger, in der damaligen Zeit gab es diese aber noch nicht und so stand in kürzester Zeit ein ganzes Land am Abgrund.
Der Pilz Phytophthora infestans, der die Kartoffeln auf dem Feld zu einer schwarzen, übelriechende Masse zersetzte, zerstörte die Nahrungsgrundlage eines ganzen Volkes. Auch die Ernten der nächsten Jahre wurden von der Kartoffelpest vernichtet. In Irland brach eine unvorstellbare Hungersnot aus, die mehrere Jahre andauerte.

Die Sporen dieses Pilzes werden vom Wind verbreitet und gedeihen in kaltem, feuchtem Klima besonders gut. Zwar werden nicht alle Kartoffelsorten von der Kartoffelfäule befallen, doch wurden zu jener Zeit in Irland nur zwei Sorten angebaut, die beide anfällig waren. Somit fand der Pilz in Irland besonders gute Bedingungen vor.

Die englische Regierung reagierte nur sehr zögerlich auf die großen Probleme. In anderen europäischen Ländern, die ebenfalls von diesem Pilz betroffen waren, reagierten die Regierungen und Bauern schnell, man wich beispielsweise auf andere Landwirtschaftliche Produkte aus. In Irland blockierte das starre System von profitforientierten Großgrundbesitzern und abhängigen Kleinpächtern aber sehr lange eine schnelle Reaktion. Um ihre Pachten bezahlen zu können, musste die irische Landbevölkerung weiterhin einen Großteil des angebauten Getreides und ihr Vieh verkaufen. Angeblich lagen für jedes Schiff, das Nahrungsmittel nach Irland brachte, mehrere Schiffe im Hafen, die Nahrungsmittel ausführten. Pächter, die die Pacht nicht aufbringen konnten, wurden von Haus und Hof vertrieben und verloren damit jegliche Lebensgrundlage.

Zwar ordnete 1845 der englische Premierminister Sir Robert Peel den Kauf von Mais in den USA an, aber dieser wurde in Irland nicht kostenlos verteilt, sondern verkauft, so dass ein Großteil der Bevölkerung sich selbst diesen nicht leisten konnte.
In England sah man die Situation durchaus als willkommenen Denkzettel für die widerborstige irische Bevölkerung (war diese doch in der Vergangenheit immer wieder durch Aufstände und Rebellion gegen die englische Vormachtsstellung aufgefallen) und -zynischerweise- als Lösung für das Problem der Überbevölkerung Irlands. Auch die Krone nahm nicht sonderlich Anteil an der dramatischen Lage Irlands: Die englische Königin spendete gerade einmal 2000 Pfund.
Als dann im Juni 1846 ein Regierungswechsel in England stattfand und die regierenden Tories von den Whigs abgelöst wurden, wurden selbst diese halbherzigen Bemühungen wieder nahezu eingestellt.
Von Seiten der Regierung gab es keine direkte finanzielle oder materielle Unterstützung an die Hungernden, da das englische Armengesetz (Poor Law), das 1838 auch in Irland eingeführt worden war, dies verbot. Hilfe war einzig in den Armenhäusern ("workhouses") vorgesehen, die wiederum mit Absicht möglichst abschreckend eingerichtet waren. Dahinter stand die Absicht, eine Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu verhindern und stattdessen auf die "Eigeninitiative" der Betroffenen zu setzen. Sinnvolle Vorschläge, wie z.B. den Export von Nahrungsmitteln aus Irland gesetzlich zu unterbinden, wurden hingegen abgelehnt.

Im Februar 1847 verschlimmerte sich die Lage weiter. Ein kalter Winter und starke Schneefälle führten zu weiteren zehntausenden Toten. Diese Umstände zwangen den englischen Premierminister Russell, entgegen seinen Absichten Nahrungsmittel nach Irland einzuführen und staatlich finanzierte Suppenküchen einzurichten. Im August 1847 wurden über 3 Millionen Menschen durch diese Suppenküchen ernährt.

Nachdem die Ernte 1847 zwar klein, aber doch erfolgreich ausfiel, wurde diese Unterstützung bald wieder eingestellt und die Hungersnot für beendet erklärt. Das Elend hielt indes an, und 1848 und 1849 fielen die Kartoffelernten erneut aus. Die Reaktionen der britischen Politik hielten sich weiterhin in Grenzen.
Das Ende der Hungersnot wird zumeist mit dem Jahr 1849 angegeben. Quellen zufolge lagen aber noch 1851 in manchen Gegenden Leichen von Hungertoten am Straßenrand. Die Armut in Irland war ebenso wenig vergangen wie die langfristigen Folgen der Hungersnot.

Eine Folge der Hungersnot war auch der beinahe völlige Untergang der irischen/ gälischen Sprache. Diese war bereits vor der Hungersnot im Rückgang begriffen, da im 18. Jahrhundert das Englische zur Sprache der oberen Gesellschaftsschicht, der Verwaltung und Regierung geworden war und wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg sowie politische Aktivitäten an die englische Sprache gebunden waren. 1841 sprachen noch etwa 4 Millionen Iren Gälisch. Diese gehörten aber größtenteils der unteren Gesellschaftsschicht an, welche dann von der Hungersnot am schlimmsten betroffen war. 1851 sprachen nur mehr etwas weniger als 25% der Bevölkerung Gälisch. Die irischsprachigen Emigranten gaben ihre Sprache in ihren neuen Heimatländern zu einem großen Teil auf und ließen ihre Kinder stattdessen Englisch lernen, um ihnen Verständigungsprobleme zu ersparen.
Die Hungersnot hatte aber nicht nur Einfluss auf die irische Sprache. Angesichts der großen Not, der vielen Toten und Emigranten waren viele alte Bräuche, Lieder und Tänze in Vergessenheit geraten.

Ein einziger Pilz, aber auch vor allem die Unfähigkeit der Politik, angemessen zu reagieren, und ein ungerechtes System der Landverteilung führten so zu einer der schlimmen humanen Katastrophen der damaligen Zeit.

Bis 1920 waren 5 Millionen Iren in die USA ausgewandert. Davor war Irland mit über 8 Millionen Einwohnern eines der bevölkerungsreichsten Länder Europas. Bis heute hat die Bevölkerungszahl nicht wieder diesen Stand erreicht. Noch heute finden sich in Irland verlassene Hausruinen aus der Zeit des "Great Famine". Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts blieb Irland ein Auswanderungsland. Erst mit dem Wirtschaftsaufschwung, der auch durch die Mitgliedschaft Irlands in der Europäischen Union und den damit verbunden Förderungen begünstigt wurde, begann ein Wandel dieses demographischen Trends und Irland entwickelte sich sogar wieder zu einem Einwanderungsland.

Thousands of the children of the Gael were lost on this island while fleeing from foreign tyrannical laws and an artificial famine in the years 1847–8. God bless them. God save Ireland!
(Gedenktafel auf Grosse Isle, Kanada)


Quellen:
  • Elvert, Jürgen - Geschichte Irlands
  • dtv Lexikon - irische Geschichte
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Hungersnot_in_Irland
    (Stand: 1. August 2007)
  • http://www.planet-wissen.de/
    (Stand: 1. August 2007)
  • http://www.spielederwelt.de/spiele/hurling/leute.html
    (Stand: 1. August 2007) 

 
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